AN AYLER XMAS
Erste Tournee war in Deutschland und Polen im Dezember 2018
Rigobert Dittmann (bad alchemy) war bei einem dieser wunderbaren Konzerte dabei. Hier ist sein Bericht:
Club W71: Mars Williams presents: An Ayler Xmas
O Weikersheim, obgleich du nur klein bist in der Reihe der Gaustädte Europas… Am 8.12.2018 ist das Tauberstädtchen nämlich eingefädelt zwischen Berlin und Krakow, bevor Mars Williams mit seiner Music of Albert Ayler & Songs of Christmas weiter zieht nach Paris, Lissabon, Wien und Amsterdam, wo ihn jeweils neue Mitspieler erwarten. Der Saxophonist, der in den 80ern mit The Psychedelic Furs gerockt hat, fand über Hal Russells NRG Ensemble zu The Vandermark 5, Peter Brötzmanns Chicago Tentet und Boneshaker, mit Witches & Devils kam er auf Ayler, mit Xmarsx zu einem fast schon weihnachtlichen Kampfnamen und mit Switchback zum Drummer Klaus Kugel. Der Neu-Mecklenburger ist mitsamt dem ukrainischen Bassisten Mark Tokar nach ihrem eskalatorischen w 71-Gastspiel mit Ken Vandermark im Oktober ein weiterer Magnet in den heute tatsächlich wieder mal gestopft vollen Kult-Club, neben Knox Chandler rechts im Eck an der Gitarre, die er ebenfalls bei The Psychedelic Furs gespielt hat. Und obendrein bläst da Jaimie Branch die Backen auf, vor zehn Jahren noch ein ranker Twen beim New Fracture Quartet, spätestens seit ihrem “Fly or Die”-Quartett mit Chad Taylor der neue Trompeten-Darling. Statt sich von No Offence-Star Joanna Scanlan Modetipps geben zu lassen, gefällt sie sich im Adidas-XL-Tracksuit und mit einem Spatzenbulk unter ihrer keck verdrehten Baseballkappe.
Es geht ganz wonnig los mit der Chanukka-Melodie ‘Ma'oz Tzur’, bis sich mit Ayler-Spirit abrupt die Wahrheit in Marsch setzt! In accelerierendem Schweinsgalopp und mit fröhlichstem Gequieke wird man auf die Tannen gejagt. Ihr wollt die Englein singen, die Jingles bellen hören? Bitteschön! Der Krawall treibt mit fetzig geknoxter Gitarre grünste Nadeln und stellt die verkehrte Welt auf den Kopf. Rip it up, and start again, das große Postpunk-Motto, erklingt hier wiedergetauft mit den freudenfeurigen Gospels von Albert Ayler. Sogar 'O Tannenbaum’ wird da wieder zum rührenden Spiritual, bevor Williams als ledergegerbter Zwockel, aber Ausbund an Temperament, mit spitzem Altissimo die Schweinchen auf die Trüffelpralinen hetzt und Branch dazu Kerzen anzündet. Wie sie messerscharf einsetzt, lauthals schmettert, wagemutig die Motive variiert und Williams konterpunktiert, wie sie nebenbei mit Electronics hantiert, ein Rasselchen und sogar die Hüften swingt, überhaupt ihre ganze Mimik und Körpersprache, das ist schon ziemlich speziell. Aber auch Chandler, ein weißhaariger Zausel Jahrgang 54, hat es echt drauf, wie er da mit Lametta flittert, mit Wunderkerzen pritzelt und im zweiten Set nochmal was Extrakakophones triggert. Kugel geigt an Metallkanten und klirrt mit Klingklang und will doch (wie er hinterher betont) keinesfalls als zartbesaitet gelten. Tokar brilliert mit schrägen Bogenstrichen, einem Flirt mit Feedback und einem Tremolo mit dem Bogengriff. Aylers Love Cries und Prayers sind ebenso wahre Xmas-Musik wie '12 Days of Christmas’ und 'O Come Emmanuel’, Frohe Botschaft und Schlaraffenland fallen im ohrwurmigen 'Island Harvest’ in eins. Gehet hin und lehret alle Völker: Music is the Healing Force of the Universal Indians! Pa rum pum pum pum. Branch spielt den Little Trumpet Boy, Williams spielt Santa Claus, krimskramst auf dem Gabentisch nach dem Rentier und lässt zwischen jedem Vers die Band donnern und blitzen. Er und seine Mitgospler gehen die Sache an wie ich es sonst nur von The Thing her kannte, mit gießkannenrauer Verve, Ayler'schem Vibrato, hymnischem Himmelfahrtsdrive oder wieder Affenzahn. Und ist es nicht ein gefundenes Fressen, wenn 'Little Drummer Boy’ und 'Bells’ zu EINEM Marsch werden, wenn da gekirrt wird, dass es einem am Skalp ziept? Das Ganze funktioniert aber vor allem deshalb so gut, weil Williams den abgedroschenen Stoff so radikal dehnt und staucht und dafür seinen 'Boys’ ihr ganzes improvisatorisches Geschick abverlangt. Nicht nur, um Xmas zu veraylern, sondern um die Übergänge fließend zu gestalten mit vielen auch leisen und feinen Passagen, für die er zu Flöten greift, zu Spielührchen und Quietschtierchen. Selbst ungeniert zarte Lyrismen lässt er sich auf der Zunge zergehen. Und so endet der Abend auch nach einer prächtigen Zugabe mit einem Diminuendo, bei der alle den Atem anhalten, bis die letzte Tannennadel gefallen ist. Mensch, was willst du mehr (außer mehr davon)?
(Rigobert Dittmann/bad alchemy)
Erste Tournee war in Deutschland und Polen im Dezember 2018
Rigobert Dittmann (bad alchemy) war bei einem dieser wunderbaren Konzerte dabei. Hier ist sein Bericht:
Club W71: Mars Williams presents: An Ayler Xmas
O Weikersheim, obgleich du nur klein bist in der Reihe der Gaustädte Europas… Am 8.12.2018 ist das Tauberstädtchen nämlich eingefädelt zwischen Berlin und Krakow, bevor Mars Williams mit seiner Music of Albert Ayler & Songs of Christmas weiter zieht nach Paris, Lissabon, Wien und Amsterdam, wo ihn jeweils neue Mitspieler erwarten. Der Saxophonist, der in den 80ern mit The Psychedelic Furs gerockt hat, fand über Hal Russells NRG Ensemble zu The Vandermark 5, Peter Brötzmanns Chicago Tentet und Boneshaker, mit Witches & Devils kam er auf Ayler, mit Xmarsx zu einem fast schon weihnachtlichen Kampfnamen und mit Switchback zum Drummer Klaus Kugel. Der Neu-Mecklenburger ist mitsamt dem ukrainischen Bassisten Mark Tokar nach ihrem eskalatorischen w 71-Gastspiel mit Ken Vandermark im Oktober ein weiterer Magnet in den heute tatsächlich wieder mal gestopft vollen Kult-Club, neben Knox Chandler rechts im Eck an der Gitarre, die er ebenfalls bei The Psychedelic Furs gespielt hat. Und obendrein bläst da Jaimie Branch die Backen auf, vor zehn Jahren noch ein ranker Twen beim New Fracture Quartet, spätestens seit ihrem “Fly or Die”-Quartett mit Chad Taylor der neue Trompeten-Darling. Statt sich von No Offence-Star Joanna Scanlan Modetipps geben zu lassen, gefällt sie sich im Adidas-XL-Tracksuit und mit einem Spatzenbulk unter ihrer keck verdrehten Baseballkappe.
Es geht ganz wonnig los mit der Chanukka-Melodie ‘Ma'oz Tzur’, bis sich mit Ayler-Spirit abrupt die Wahrheit in Marsch setzt! In accelerierendem Schweinsgalopp und mit fröhlichstem Gequieke wird man auf die Tannen gejagt. Ihr wollt die Englein singen, die Jingles bellen hören? Bitteschön! Der Krawall treibt mit fetzig geknoxter Gitarre grünste Nadeln und stellt die verkehrte Welt auf den Kopf. Rip it up, and start again, das große Postpunk-Motto, erklingt hier wiedergetauft mit den freudenfeurigen Gospels von Albert Ayler. Sogar 'O Tannenbaum’ wird da wieder zum rührenden Spiritual, bevor Williams als ledergegerbter Zwockel, aber Ausbund an Temperament, mit spitzem Altissimo die Schweinchen auf die Trüffelpralinen hetzt und Branch dazu Kerzen anzündet. Wie sie messerscharf einsetzt, lauthals schmettert, wagemutig die Motive variiert und Williams konterpunktiert, wie sie nebenbei mit Electronics hantiert, ein Rasselchen und sogar die Hüften swingt, überhaupt ihre ganze Mimik und Körpersprache, das ist schon ziemlich speziell. Aber auch Chandler, ein weißhaariger Zausel Jahrgang 54, hat es echt drauf, wie er da mit Lametta flittert, mit Wunderkerzen pritzelt und im zweiten Set nochmal was Extrakakophones triggert. Kugel geigt an Metallkanten und klirrt mit Klingklang und will doch (wie er hinterher betont) keinesfalls als zartbesaitet gelten. Tokar brilliert mit schrägen Bogenstrichen, einem Flirt mit Feedback und einem Tremolo mit dem Bogengriff. Aylers Love Cries und Prayers sind ebenso wahre Xmas-Musik wie '12 Days of Christmas’ und 'O Come Emmanuel’, Frohe Botschaft und Schlaraffenland fallen im ohrwurmigen 'Island Harvest’ in eins. Gehet hin und lehret alle Völker: Music is the Healing Force of the Universal Indians! Pa rum pum pum pum. Branch spielt den Little Trumpet Boy, Williams spielt Santa Claus, krimskramst auf dem Gabentisch nach dem Rentier und lässt zwischen jedem Vers die Band donnern und blitzen. Er und seine Mitgospler gehen die Sache an wie ich es sonst nur von The Thing her kannte, mit gießkannenrauer Verve, Ayler'schem Vibrato, hymnischem Himmelfahrtsdrive oder wieder Affenzahn. Und ist es nicht ein gefundenes Fressen, wenn 'Little Drummer Boy’ und 'Bells’ zu EINEM Marsch werden, wenn da gekirrt wird, dass es einem am Skalp ziept? Das Ganze funktioniert aber vor allem deshalb so gut, weil Williams den abgedroschenen Stoff so radikal dehnt und staucht und dafür seinen 'Boys’ ihr ganzes improvisatorisches Geschick abverlangt. Nicht nur, um Xmas zu veraylern, sondern um die Übergänge fließend zu gestalten mit vielen auch leisen und feinen Passagen, für die er zu Flöten greift, zu Spielührchen und Quietschtierchen. Selbst ungeniert zarte Lyrismen lässt er sich auf der Zunge zergehen. Und so endet der Abend auch nach einer prächtigen Zugabe mit einem Diminuendo, bei der alle den Atem anhalten, bis die letzte Tannennadel gefallen ist. Mensch, was willst du mehr (außer mehr davon)?
(Rigobert Dittmann/bad alchemy)